2015, Begehung unserer Projekte bei der Universität Wien


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Informationen zu

Nobelpreis und Universität Wien – Gruppenbild mit Fragezeichen entnehmen Sie bitte
http://www.photoglas.com/upload/bildordnernobelpreis/presse.pdf


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Informationen zu

»Kontroverse Siegfriedskopf«

1) Pressetext
2) Redetext von Angelica Bäumer zur Eröffnung
3) Text des Glaskubus
4) Texte der Glasbügel (innen)
5) Pressespiegel

Der Siegfriedkopf, ursprünglich 1923 zur Ehrung der Gefallenen des Ersten Weltkrieges in der Aula
der Universität Wien aufgestellt, wurde bald zur Ikone der deutsch-nationalen Studentenverbindungen. Im
Zuge des Umbaus und der Sanierung von Aula, Seitenaulen und Arkadenhof der Universität, sollte auch
dieses Monument im kritischen Licht der Geschichtsaufarbeitung präsentiert werden. Bele Marx und Gilles
Mussard haben den Siegfriedkopf von seinem Sockel »gestürzt« und ihn mit einer Schrift ummantelt. Diese
Schrift dominiert die Skulptur und schildert antisemitische Übergriffe an der Universität Wien in den 20er
Jahren, die vor allem die Gruppe zu verantworten hatte, die den Siegfriedskopf finanzierte. In subtiler
Weise »antwortet« und »verteidigt sich« die Schrift-Skulptur, wenn notwendig, auf mögliche Eingriffe und
lässt die Erzählung akkurat und von Mal zu Mal stärker hervortreten.



1) Pressetext

Im Zuge des Umbaus und der Sanierung von Aula, Seitenaulen und Arkadenhof der
Universität Wien wurde der »Siegfriedskopf« von der Aula in den Arkadenhof verlegt.
Die sich über mehrere Dekaden hinziehende Kontroverse um das Gefallenendenkmal waren Anlass, den
»Siegfriedskopf« durch ein Kunstprojekt in einen neuen Kontext zu stellen. Mit der künstlerischen
Konzeption und technischen Ausführung wurden wir, Bele Marx & Gilles Mussard (Atelier Photoglas)
beauftragt. Der neue Kontext des Gefallenendenkmals wurde mit Roger Baumeister, dem Architekten der
Universitäts-Neugestaltung, sowie dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien unter Leitung von
Ao.Univ.Prof.Dr.Mag. Friedrich Stadler zusammen mit Mag. Mario Wimmer erarbeitet.

In der Neu-Disposition und der parallel dazu verlaufenden künstlerischen Auseinandersetzung mit dem
»Siegfriedskopf« wurde die Grundstimmung der Zwischenkriegszeit an der Universität Wien und der
Diskurs um das Denkmal, vorwiegend in den letzten Dekaden des vorigen Jahrhunderts, nachgezeichnet.
Im Zusammenhang mit der architektonischen Neugestaltung wurde entschieden den »Siegfriedskopf« von
seinem ursprünglichen Standort in der Hauptachse der Aula des Hauptgebäudes der Universität zu
entfernen und ihn im westlichen Teil des Arkadenhofes in einer neuen Weise zu positionieren.

Die vom Bundesdenkmalamt geforderte Witterungshülle aus Glas unterstützte die Idee, die Hülle
gleichzeitig als Träger von Textbeiträgen und Fotografien aus Tageszeitungen von 1923 (dem Jahr, in
dem der »Siegfriedskopf« aufgestellt wurde) bis heute einzusetzen. Aufbauend auf diesen Vorgaben der
Architekten begann die künstlerische Intervention. Das Objekt besteht nunmehr aus mehreren
Glasebenen und Einheiten. Der äußere Kubus ist Träger eines zeitgeschichtlichen Textes von Minna
Lachs, sie beschreibt darin exemplarisch eine Situation antisemitischer Übergriffe in den 20er Jahren. Im
inneren Teil des Glaskubus befinden sich weitere Glasflächen mit Texten und Fotografien aus
Publikationen. Über eine neben der Skulptur stehende Informationsstation werden ergänzend, am
Beispiel von vier Zeitschichten - 1914-1923, 1938-1945, 1965-1968, 1990 bis zur Gegenwart -
unterschiedliche Reaktionen sichtbar gemacht, für die das Denkmal stand und steht. Die Texte wurden
unter wissenschaftlicher universitärer Beratung von uns ausgewählt und liefern einen Beitrag zu den
historischen Hintergründen und den vielschichtigen Vorgängen um das Denkmal. Subsumierend
betrachtet stellen sie einen Teil der Dokumentation über die Geschichte des Denkmals dar.

Für uns steht im künstlerischen Zentrum dieser Arbeit die Schrift. Sie ist Zeugnis historischer sowie
kultureller Vergangenheit und Gegenwart. Es ist die Schrift, mit der Geschichte geschrieben und
Geschichte dokumentiert wird. Und es sind wiederum Schriften, die in diktatorisch geführten Regimes der
Zensur, der Verbrennung und Vernichtung anheim fallen. Um die Schrift als aktives Element einbeziehen
zu können, galt es eine Darstellungsform zu finden, die sie als Teil eines sich stets verändernden
Prozesses sieht. Die ausgewählten Texte wurden gescannt, aufbereitet, auf einem transparenten Film,
gleich einem Diapositiv, ausbelichtet und zwischen Glasschichten eingebettet. Das Verfahren - genannt
Photoglas - wurde ab 1997 von uns in Kooperation mit Partnern entwickelt und in der Folge patentiert.
Der Begriff Photoglas steht sowohl für das Atelier Photoglas (Atelier für Konzeptarbeit), als auch für die
Technologie Photoglas, die es ermöglicht großformatige Diapositive in Glasschichten dauerhaft
einzuarbeiten.

Naturlicht, Wetterverhältnisse und mögliche gewaltsame Eingriffe von außen sind
wesentlicher Bestandteil der Schriftskulptur. Durch Sonnenlicht wird gleichsam ein Schatten
der Schrift auf das Objekt projiziert, der die unterschiedliche Lesbarkeit des Gesamtobjekts
hervorruft. Der Lauf der Sonne ist Teil des Konzepts. Er versetzt die Skulptur in einen permanenten
Wandel von Licht und Schatten und die Textpassagen in einen abwechselnd aktiven und passiven
Zustand. Über die drei Glas-Bügel legt sich - einer Matrize gleich - eine zweite Glasschicht. Die
Oberfläche gibt, wie erwähnt, die autobiografische Erinnerung der Zeitzeugin Minna Lachs wieder, wobei
Zeile für Zeile wie eine Zikkurat um den Glaskörper läuft, den man umgehen muss, um den Text
vollständig lesen zu können. Auch die äußere »Glasschicht« arbeitet mit Naturlicht, den
Wetterverhältnissen und allen möglichen äußeren Umständen und Eingriffen. Im Laufe der Zeit wird die
Schrift durch die Verwitterung noch deutlicher und dominanter werden. Je nach Wetterlage ist sie
unterschiedlich sichtbar, wobei sich die sandgestrahlte Schrift beispielsweise bei Regen mit Wasser füllt,
sodass sie auf der Gesamtoberfläche des Glasobjektes beinahe verschwindet, bei Sonneneinstrahlung
hingegen entstehen Schattenbilder bzw. Projektionen, die zusätzliche Ebenen erzeugen.

Das ursprüngliche Denkmal wurde in seine skulpturalen Bestandteile - Plinthe, Sockel und
Kopf - zerlegt und die isolierten Einzelteile einem jeweiligen »Glasraum« zugeordnet. Die
Fragmentierung des Objekts kommt auf metaphorischer Ebene einer Archäologisierung des
Denkmals gleich. Neben der räumlichen Entrückung wird gleichsam die zeitliche
Distanznahme angesprochen, die mit der künstlerischen Auseinandersetzung einen neuen
Zugang in der Gegenwart schafft. Sowohl die passive als auch die aktive Rezeption des Betrachters ist
als Teil der öffentlichen Auseinandersetzung miteinbezogen. Da die Skulptur sich laufend mit den
gegebenen Wetterverhältnissen verändert, ist sie in einem passiven Stillstand, besitzt aber gleichzeitig
die Stärke »aktiv« zu reagieren. Je stärker eine mögliche Einwirkung von außen stattfindet, desto
deutlicher tritt die Erzählung der obersten Glasschicht in den Vordergrund und wird umso sichtbarer.

Die Neupositionierung war architektonisch notwendig, und es war politisch sinnvoll den Senatsbeschluss
aus den 90er Jahren, den »Siegfriedskopf« zu verlegen, endlich zu realisieren. So wurde aus der
Universitätsaula ein Objekt entfernt, das seit Jahrzehnten für Diskurs und Auseinandersetzung sorgte.
Ursprünglich als Kriegerdenkmal geplant, wurde der »Siegfriedskopf« 1923 in der Aula der Universität
aufgestellt und bald zur Ikone der deutsch-nationalen Studentenverbindungen und so zum Symbol für
politischen Extremismus, Faschismus und Antisemitismus. Er war kein Symbol für eine freie, offene und
moderne Universität.

Der »Siegfriedskopf« wurde von seinem Sockel gestürzt, und mit Schrift ummantelt. Das so entstandene
Kunstwerk ist als Metapher zu verstehen und soll daran mahnen, dass Extreme (Diktaturen) als erstes die
Schrift und das freie Wort unterbinden (Autodafé). In subtiler Weise »antwortet« und »verteidigt sich«
unsere Schrift-Skulptur, wenn notwendig, auf mögliche Eingriffe und lässt die Erzählung akkurat und von
Mal zu Mal stärker hervortreten. Sie ist zum Zeichen einer so autonomen wie neutralen, nicht aber
gleichgültigen Zeit geworden, in der die Geschichte nicht verdrängt und geleugnet wird, die Gegenwart
aber als Brücke verstanden werden soll, die in die Zukunft weist.

Weiterführende Informationen können dem Touchscreen neben der Skulptur im Arkadenhof der
Universität Wien entnommen werden.

Atelier Photoglas

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2) Redetext von Angelica Bäumer zur Eröffnung der Skulptur Siegfriedskopf von
Bele Marx und Gilles Mussard im Arkadenhof der Universität Wien am 13. Juli 2006



»Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar« - diesen flehentlichen und flammenden Appell einer großen
Dichterin müssten wir uns täglich vor Augen halten.

Die Wahrheit - wie oft ist sie gebogen und gebrochen worden, umgeformt, zur gerade passenden
politischen Lage von Kirche, Staat und bürgerlichem Recht.

Nehmen wir hier und heute Wahrheit als Überlegung für den seit Jahrzehnten wild umstrittenen
Siegfriedskopf:

Ein Kriegerdenkmal sollte der Gefallenen der Universität im 1. Weltkrieg gedenken - an Professoren und
Assistenten, Studenten, Bibliothekare und Pedelle erinnern.

Der Tod macht alle Menschen gleich, er löscht alle Wünsche und Hoffnungen, alle Sehnsüchte und Ziele.
Er nivelliert alle gesellschaftlichen Unterschiede und politischen Ansichten - es soll Aller gedacht
werden.

Aber die Lebenden missbrauchen die Toten.

Sie, die sich nicht mehr wehren können gegen die Einvernahme von links oder rechts, von Religion und
Politik, sie, die tot und stumm sind, müssen es sich gefallen lassen, dass ihnen melodramatische und
scheußliche Denkmale errichtet werden, dass sich radikale politische Agitation bis zu kriminellen und
menschenverachtenden Handlungen um die Denkmale zu ihren Ehren abspielen.

Dabei ist die Wahrheit ganz einfach: es sind im 1. Weltkrieg eine Million Österreicher aus dem gesamten
Habsburger Reich gefallen, in einem sinnlosen selbstzerstörerischen Krieg (der insgesamt 10 Millionen
Tote forderte), bei dem es nicht um »Ehre, Freiheit und Vaterland« des Einzelnen ging, sondern um
Machtansprüche einiger Weniger. Was hatte der junge Student denn mit diesem Krieg zu tun? Er wollte
vielleicht Lehrer werden, eine Familie gründen und in Frieden leben. Was hatte der Professor für
Altgriechisch mit diesem Krieg zu tun? Er wollte lernen und lehren und aus der Antike Schlüsse ziehen.
Und was heißt hier »Helden«? Und für was steht hier der antike Begriff des Helden? Für das sich
abschießen lassen oder im Feld verbluten? Und ist tot sein schon ausreichend um ein Held zu sein?

Und was hatte der Tod dieser Menschen, jeder einzelne betrauert von seiner Familie, von Freunden und
Kollegen, denn mit dem jahrzehntelangen Kampf um diesen lächerlichen Siegfriedskopf zu tun?

Der Tod dieser Menschen, denen gedacht werden sollte wurde missbraucht.

Einen schrecklichen Krieg und Abermillionen Tote später ging der Streit um diesen Schädel weiter, der es
nie zu einer kunsthistorischen Bedeutung bringen würde, stünden wir nicht heute vor diesem neuen
Denk-Mal.

Eine andere Wahrheit: nicht allein die Aggression der deutschnationalen und neonazistischen Studenten
und denen, die sich ihnen aus Freude am Krawall anschließen, ist der Skandal, der sich in der
ehrwürdigen Universität in Wien abspielt, sondern auch die - nennen wir es höflich - Mutlosigkeit, lieber
würde ich Feigheit sagen, der Verantwortlichen dieses hohen Hauses. Dass die Polizei in der Universität
keine Befugnis zum amtshandeln hat, müsste da aufhören, wo Menschen zusammengeschlagen werden.

Und wo eindeutig neonazistische Störungen stattfinden und Vorlesungen gestört werden, müsste die
Verwaltung energischer einschreiten. Es kann doch nicht sein, dass ein paar Radikale, - und durch ihre
leichten Erfolge werden es ja immer mehr, - (auch, dass sie in der Presse immer erwähnt werden) eine
Universität in Verruf bringen, die einst international geachtet und bewundert wurde, ob ihrer
ausgezeichneten Lehre und Lehrer.

Eine andere Wahrheit: es waren nicht zuletzt die Krawalle in den 20er und 30er Jahren um den
Siegfriedskopf, der den deutschnationalen Burschenschaften das Motiv für ihre antisemitischen und
antijüdischen Parolen und Attacken bot.

Um ganz kurz auch an eine andere traurige Geschichte zu erinnern:

Was hat die Universität getan, um wenigstens diese Wissenschaftler, die 1938 fliehen mussten, um ihr
Leben zu retten, nach 1945 zurückzuholen, von denen etliche heute gerne als »unsere« Nobelpreisträger
bezeichnet werden?

Nach langen, erfolglosen Bemühungen, die teilweise wegen zu opulenter und teurer Vorschläge nicht
realisiert werden konnten, ist nun - ich möchte sagen: endlich - nicht nur der Eingang in die Universität
neu und großzügig gestaltet, es sind nicht nur klare und schlichte Worte für die Toten und Vertriebenen
des Hauses angebracht, es ist auch ein endgültiger Platz für den unseligen Siegfried gefunden.

Der erste und wichtigste Schritt war der, dass ein Gesamtkonzept entwickelt wurde, dass die
BaumeisterArchitekten das Denkmal aus der Halle entfernt und in den Arkadenhof verlegt haben, neben
jene Arkaden, in denen an die Rektoren der Universität in Reliefs und Bildwerken erinnert wird. Hier soll
nun, als Erinnerung an die Toten der Universität in 2 unseligen Kriegen, der Kopf in einer neuen
Gestaltung seinen endgültigen Platz gefunden haben.

Die Universität und ihre Verantwortlichen sind mutiger geworden, sie haben die Zeichen der Zeit erkannt.
Es hat sich ein Team gefunden, das sich auf beste Weise ergänzt und sich gegenseitig befruchtet hat.
Zunächst die Universität selbst, die um die Notwendigkeit der Neugestaltung wusste, dann die Architekten
die ein überzeugendes Projekt entwickelten, und mit Bele Marx und Gilles Mussard wurden zwei Künstler
gefunden, die sowohl für die inhaltliche wie für die formale Gestaltung mit dem von ihnen entwickelten
Patent Photoglas eine künstlerisch-technische Lösung fanden, die dem Anlass des Kriegerdenkmales mit
seiner wechselvollen und tragischen Geschichte gerecht geworden ist.

Ich möchte meinen, dass alles zusammen ein eindeutiges Signal gegen jede Form von Rassismus,
Aggression und Radikalität, von welcher Seite auch immer, geworden ist. Dies ist für jeden erkennbar, der
die Geschichte dieses Kriegerdenkmales der letzten Jahrzehnte kennt und ihre Peinlichkeiten verfolgt
hat.

Man darf mit Freude festhalten, dass heute ein Denkmal enthüllt wird, das immer noch den alten Siegfried
zeigt, aber optisch verändert, geistig umgedacht und künstlerisch verwandelt.

Im Zentrum der Arbeit steht die Schrift. Damit soll nicht nur die Geschichte des Denkmales erzählt,
sondern auch daran erinnert werden, dass es die Schrift ist, mit der Geschichte geschrieben und
Geschichte dokumentiert wird. Dass es Bücher sind, die in totalitären Regimes der Zensur, der
Verbrennung und Vernichtung zum Opfer fallen.

Die Texte, die unter wissenschaftlicher Beratung von Professoren mit den Künstlern ausgewählt wurden,
vertreten unterschiedliche Standpunkte zur Thematik und bilden einen Beitrag zum Verständnis der
historischen Hintergründe und den vielschichtigen Vorgängen rund um das Denkmal.

Die beiden Künstler haben das Denkmal in seine skulpturalen Teile zerlegt, und haben die isolierten
Teile einem jeweiligen Glasraum zugeordnet. Eine archäologische Intervention sozusagen. Sie haben
den Schutz vor Witterung, den das Denkmalamt forderte, so gestaltet, dass es möglich wurde die
Geschichte zu erzählen.

Die gläserne Hülle wurde zum Träger der Texte, die in den Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts und bis
heute geschrieben wurden. Dokumentationen und Informationen, aber auch Lügen und Verdrehungen,
schlampig recherchierte Presseartikel, Angriffe und Verteidigungen.

Höchst raffiniert wurde in das schützende Glas die Schrift wie eine Verletzung zwischen die Glasscheiben
eingebettet. Aber man muss näher treten, um z.B. den Zeitzeugenbericht aus den 20er Jahren von Minna
Lachs lesen zu können. Man muss um den Körper herumgehen, ihn umkreisen und Zeile für Zeile
entziffern. Nur so erfährt man die Geschichte.

Wechselnde Wetterverhältnisse und sogar mögliche - wenn auch nicht erwünschte - gewaltsame Eingriffe
von Außen sind wesentlicher Bestandteil der Schriftskulptur. Durch Sonnenlicht wird gleichsam ein
Schatten der Schrift auf das Glas projiziert, der die unterschiedliche Lesbarkeit des Gesamtobjekts
hervorruft. Der Lauf der Sonne ist Teil des Konzeptes. Er versetzt die Skulptur in einen permanenten
Wandel von Licht und Schatten und die Textpassagen in einen abwechselnd aktiven und passiven
Zustand. Sonne und Regen, Licht und Schatten spielen somit eine raffiniert ausgeklügelte Rolle, sogar
aggressive Attacken zerstören nicht, sondern verstärken sogar die Lesbarkeit, machen erst sichtbar, was
geschrieben steht. Indem die Textpassagen einer permanenten Veränderung ausgesetzt sind, machen
sie deutlich, dass nicht nur dieses Kunstwerk, sondern dass die Geschichte zwar einem steten Wandel
unterworfen ist, dass aber nichts verloren geht.

Künstler sind in vielen Dingen offener und sehen Dinge oft anders und unkonventionell, sie haben
empfindsamere Sensoren, und sind bereit sich mit ihren Werken oft genug dem Unverständnis
auszusetzen. Sie müssen die Wahrheit sagen, die sie erkannt haben und sie müssen diese Wahrheit mit
ihrer Kunst vermitteln. Oft genug sind sie nicht verstanden worden, sind persönlich verfolgt und ihre
Werke zerstört worden. Auch die Universität ist nicht davor gefeit zeitgenössische Kunst abzulehnen,
hohe Intelligenz hat oft nichts mit dem Verstehen von Kunst zu tun ? wie man an dem Unverstand
gegenüber den Klimt Bildern für die Universität sehen kann.

Diese Skulptur von Bele Marx und Gilles Mussard mag in ihrer Vielschichtigkeit, in ihrer ungewohnten
Form auch auf Unverständnis stoßen. Der hinterrücks gemeuchelte Siegfried ist nicht mehr der Held des
Denkmals, sondern die Geschichte, für die dieses Objekt steht und die dieser künstlerisch wertlose Kopf,
eines zu Recht vergessenen Bildhauers, in Jahrzehnten ausgelöst hat.

Jetzt ist es das Wort, das Zitat, die Schrift, die die Toten ehrt. Und man muss sich um das Verstehen
bemühen. Man kann nicht mehr achtlos vorbeigehen, man muss stehen bleiben und nachdenken -
vielleicht versteht man jetzt besser, dass dieses Objekt nicht nur ein ästhetisches Werk ist, sondern in
seinem künstlerischen und spirituellen Sinn ein Denk-Mal.

Es galt die Wahrheit zu finden, getreu dem eingangs erwähnten Ingeborg Bachmann Zitat, »die Wahrheit
ist dem Menschen zumutbar« - ich bin sicher, dass mit dieser außergewöhnlichen Schriftskulptur von Bele
Marx und Gilles Mussard und ihrer vielschichtigen Aussage Wahrheit gefunden wurde - für alle, die sie
zu erkennen und anzunehmen wissen.


Angelica Bäumer
13. Juli 2006


REDETEXT NICHT ZUR VERÖFFENTLICHUNG OHNE RÜCHSPRACHE:

Tel.:+43 1 513 49 44
mobil: +43 664 10 100 31
angelica.baeumer@chello.at

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3) Text des Glaskubus:

Minna Lachs, «Universitätsjahre«, in: Warum schaust du zurück. Erinnerungen 1907-1941,
(Europaverlag: Wien, München, Zürich 1986), Seite 150-155.

»In der Germanistik interessierten mich zunächst die Vorlesungen des Prof. Paul Kluckhohn, des Experten
für die deutsche Romantik. Doch ich kam bald darauf, daß er, wie immer er seine Vorlesungen auch
betitelte, unweigerlich bei der deutschen Romantik landete und dort auch aufhörte. Ich war im 3.
Semester, als ich mich bei Prof. Kluckhohn zu einem Kolloquium anmeldete. Er hielt die Prüfungen in
Dreiergruppen ab und gestattete Studierenden zuzuhören. Ich war in einer Gruppe mit zwei
ahnungslosen Studenten, die sich anscheinend auf ihre Schmisse verlassen hatten. Der eine schüttelte
bei der ersten Frage den Kopf und tat den Mund fast nicht auf, und die Frage ging an den zweiten Prüfling
über, der Unzusammenhängendes murmelte, und die Frage landete bei mir, ich beantwortete sie richtig
und ausführlich. Das ging so eine Weile, bis sich der Professor erhob. Wir folgten ihm alle drei, von
Freunden begleitet, zum Dekanat, um die Zeugnisse entgegenzunehmen. Die beiden Burschen hatten
ein »Gut«, und ich war nur gerade durchgekommen. »Das muß ein Irrtum sein«, sagten die beiden
Kollegen, »wir warten mit Ihnen, bis der Herr Professor heraus kommt und Sie ihn gleich fragen können.«
Nach einigem Sträuben gab ich nach. Ich hielt Prof. Kluckhohn mein Zeugnis hin und sagte: »Ich habe
doch alle Fragen beantwortet, Herr Professor, ist dies nicht ein Irrtum?« Er antwortete nicht und ging hoch
erhobenen Hauptes an mir vorbei, als ob ich Luft wäre. Die Umstehenden waren betroffen, aber ich nicht,
denn ich wußte, was es bedeutete, im Meldebuch, in der Spalte Geburtsort, »Trembowla, Polen« stehen
zu haben.
Jeden Samstag hatten die deutsch-nationalen Studenten der schlagenden Verbindungen ihren Korso in
den Wandelgängen der Universität. Anschließend stürmten sie die Hörsäle mit dem Ruf: »Juden raus!«
Ich wußte von keinem Professor, der sich ihnen entgegengestellt hätte. Daher war ich auch sehr erstaunt
über das Verhalten von Professor Kluckhohn, als sie in seine Vorlesung eindrangen. Wieder schrien sie
ihr »Juden raus«. Da nahm der Professor seine Skripten und sagte laut und ruhig: »Wir gehen alle.«
Ein Samstag ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Die Burschenschafter waren wieder mit »Juda
verrecke« in die Hörsäle gestürmt und zerrten die jüdisch aussehenden Studenten unter Schlägen aus
dem Saal und prügelten sie bis zur Rampe der Universität hinunter. Unter den Mißhandelten war diesmal
»Blümchen«; so nannten wir einen typisch intellektuell aussehenden Studenten - starke Augengläser,
schmächtige Gestalt - namens Blum. Es war ein veritabler Spießrutenlauf. Auf der Straße stand ein
Polizeikordon. Die Wachleute sahen zu, wie die Bande einzelne Wehrlose blutig prügelte, denn die
Polizei durfte akademischen Boden nicht betreten. Sie sahen unbewegt oder auch spöttisch lächelnd,
sogar hämisch, der »Hetz« zu. Wir anderen standen hinter dem Polizeikordon und konnten nur
ohnmächtig mit Schreien protestieren. Die Korpsstudenten hatten zuerst Blümchens Augengläser
zerschlagen, und er bot in seiner Wehrlosigkeit einen jammervollen Anblick. Wir schrien alle »Feiglinge,
Feiglinge« im Chor, »das ist deutscher Mannesmut, eine ganze Bande gegen einen!« Ich stand hinter
einem älteren, grauhaarigen Polizisten und merkte gar nicht, was ich schluchzend in ohnmächtiger Wut
schrie. Er drehte mir seinen Kopf zu und flüsterte: »Vorsicht, Fräulein, die merken sich ihr Gesicht, und
dann kommen Sie dran.« Ich weiß nicht recht, was weiter geschah. Ich erinnere mich nur an den
Rettungswagen, den jemand telephonisch herbeigerufen hatte, und daß man »Blümchen«, der vor der
Rampe am Boden lag, in den Wagen hineinhob.
In diesem Zusammenhang muß ich von einer merkwürdigen Begebenheit berichten, die wir nie ganz
enträtseln konnten. Es war an einem der letzten Vorlesungstage vor dem Beginn der Semesterferien. Ich
wollte noch schnell etwas in einem Nachschlagewerk in der Universitätsbibliothek überprüfen. In der Aula
und auf Stiegen und Gängen sah es schon nach Ferien aus, doch mir schien, als ob etwas in der Luft
läge. Ich nahm mir vor, mich sehr zu beeilen. Auf dem Gang zum Lesesaal der Bibliothek kam mir ein
eher professoral aussehender Herr entgegen, der mich aufmerksam betrachtete. Ich saß schon mit
meinem Buch auf einem der vorderen Plätze, als ich ihn eintreten sah. Er blickte sich um und setzte sich
auf einen Platz in meiner allernächsten Nähe, jedoch ohne ein Buch zu verlangen. Er sah zu mir herüber,
zog ein Merkbuch aus seiner Tasche und begann etwas zu schreiben. Plötzlich hörte man draußen Pfiffe
und Geschrei, es war ein furchtbarer Lärm. Man prügelte wieder. Abermals sah der Herr zu mir herüber.
Diesmal ließ er seinen Blick länger auf mir ruhen.
Der will doch etwas von mir, dachte ich, und ich spürte Angst in mir aufsteigen. Zwei Saalbeamte liefen
zur Tür, um sie zu verschließen. Doch es war zu spät. Mit erhobenen Stöcken stürmten die Kerle in den
stillen Lesesaal: »Raus, ihr feigen Saujuden, raus! Wir finden euch schon!« Plötzlich stand der Herr hinter
mir und zeigte auf irgend etwas in meinem Buch. Ich glaube, ich zitterte am ganzen Körper und sah nur
aus den Augenwinkeln die Bande, die von den hinteren Plätzen einzelne Studenten mit blutenden
Köpfen vor sich hertrieben und sie durch die Türe auf den Gang hinausstießen. Ein Pedell schloß rasch
die Türe ab, ein anderer versuchte die Blutspuren wegzuwischen. Man konnte ausnehmen, wie die
Burschenschafter ihre Opfer die Stiegen hinunterwarfen und mit ihrem »Juda verrecke!« zum nächsten
Hörsaal stürmten. Mir schien, daß nicht nur ich, sondern alle im Hörsaal Zurückgebliebenen den Atem
anhielten. »Sie sind weitergezogen«, sagte die sonore Stimme des Mannes hinter mir, der sich jetzt auf
den leeren Platz neben mir setzte und weiter in sein Notizbüchlein schrieb. Ich blickte fassungslos in mein
Buch und fühlte seine Blicke auf mir ruhen.
Nach einer langen Weile schloß der Pedell die Türe wieder auf. Mein Nachbar half mir in den Mantel, der
über meiner Stuhllehne hing, und ging mir voran auf die Tür zu. Er sah um sich und sagte: »Darf ich Ihnen
jetzt meinen Arm anbieten, damit wir hier schnell hinauskommen.« ? »Ich danke Ihnen«, sagte ich leise.
Ruhig, Belangloses sprechend, führte er mich die Stiegen hinunter, an den Haudegen vorüber bis zur
Aula und geleitete mich durch die offene Tür die Rampe hinunter. Er blieb stehen und zog seinen Hut.
»Jetzt sind Sie in Sicherheit und können ruhig nach Hause gehen.« Er verneigte sich leicht, und ich
konnte ihm zum ersten Mal voll ins Gesicht sehen. Es war das gut geschnittene Gesicht eines nicht mehr
jungen Mannes mit geistig ausgeprägten Zügen. »Wollen Sie mir nicht Ihren Namen verraten?« fragte ich
mit noch immer verängstigter Stimme. ?»Der Name tut doch nichts zur Sache«, sagte er lächelnd,
verneigte sich, »Küß' die Hand«, und stieg in die eben einfahrende Straßenbahn. Ich bin ihm nie wieder
begegnet.
Noch immer verstört kam ich heim und erzählte, was ich eben erlebt hatte. »Das war dein Schutzengel.
Du weißt doch, daß du einen besonderen Schutzengel seit deiner Geburt hast«, sagte Babcia, die damals
bei uns lebte, gelassen. »Wie hat dieser Dozent oder Professor gewußt, was geschehen würde?« fragte
Mama. »Er dürfte manches zufällig beobachtet oder gehört haben, sonst würde er nicht zum Lesesaal
zurückgegangen sein«, sagte Papa. Ich aber hatte den Eindruck, daß er mich vielleicht vom Sehen
kannte, während er mir nie aufgefallen war.«

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4) Texte in den Bügel:


Bügel 1 (Sockel)

1) Thomas Vašek, »Das Schwein des Siegfried. Die Auseinandersetzung um das Heldendenkmal in der
Aula der Uni Wien«
UniInfo, Rechtsextremismus an Österreichs Universitäten, Wien, Oktober 1996
(Seitenteil Bügel 1 und 2)

2) Der Standard, 24.11.1990
Foto: Newald
Zitiert nach: Ulrike Davy/Thomas Vašek, Der »Siegfried-Kopf«. Eine Auseinandersetzung um ein Denkmal
in
der Universität Wien (WUV Universitätsverlag: Wien, 1991).

3) »Eine Schweinerei, ...«
Kronen Zeitung, 24.11.1990
Zitiert nach: Ulrike Davy/Tomas Vašek, Der »Siegfried-Kopf«. Eine Auseinandersetzung um ein Denkmal
in
der Universität Wien (WUV Universitätsverlag: Wien, 1991).

4) »Schmieraktion in der Aula der Wiener Universität«
Die Presse, 24.11.1990
Foto: »Die Presse«/Harald Hofmeister
Zitiert nach: Ulrike Davy/Tomas Vašek, Der »Siegfried-Kopf«. Eine Auseinandersetzung um ein Denkmal
in
der Universität Wien (WUV Universitätsverlag: Wien, 1991).


Bügel 2 (Kopf)

5) »Die Internationale des Hakenkreuzes«
Arbeiter-Zeitung, 9.11.1923
© Verband Wiener Arbeiterheime

6) »Hakenkreuz gegen Wissenschaft«
Arbeiter-Zeitung, 20.11.1923
© Verband Wiener Arbeiterheime

7) »Hakenkreuzterror an der Universität«
Arbeiter-Zeitung, 20.11.1923
© Verband Wiener Arbeiterheime

8) Schreiben der Deutschen Studentenschaft der Universität Wien
an den hohen Senat der Universität Wien,
Wien, am 27. November 1922) Denkschrift der Deutschen Studentenschaft
Titel "Deutsche Studentenschaft der Universität Wien"
Datum: 27. November 1922, Umfang: 3 Seiten

9) »Hakenkreuzfrechheiten«
Arbeiter-Zeitung, 27.11.1923
© Verband Wiener Arbeiterheime

10) »Wieder Hakenkreuzkrawalle an der Universität«
Arbeiter-Zeitung, 30.11.1923
© Verband Wiener Arbeiterheime


Bügel 3 (Plinthe)

11) Margarete Grandner, Gernot Heiß, Elisabeth Klamper, »Im Kampf um das Haupt des deutschen
Helden Siegfried« Forum Nr. 444, Dezember 1990, 57-63.

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5) Pressespiegel:

derstandard.at
http://derstandard.at/?url=/?id=2515498


derstandard.at
http://derstandard.at/?url=/?id=2515469


Wien @ ORF.at:
http://wien.orf.at/stories/122531/


ORF ON Science:
http://science.orf.at/science/news/145111


volksgruppen @ ORF.at:
http://volksgruppen.orf.at/diversity/stories/52886/


Vienna.at
http://www.vienna.at/engine.aspx/page/vienna-article-detail-page/cn/vienna-news-
ahabicher-20060713-121154/dc/om%3Avienna%3Awien-aktuell-1-bezirk


OÖ Nachrichten:
http://www.nachrichten.at/apanews/apap/460456


Salzburger Nachrichten:
http://www.salzburg.com/sn/nachrichten/artikel/2180352.html


Salzburger Nachrichten:
http://www.salzburg.com/sn/06/07/14/artikel/2181981.html


Kleine Zeitung:
http://www.kleine.at/nachrichten/politik/158492/print.do


Wienweb.at:
http://www.wienweb.at/content.aspx?id=109899&cat=22&channel=2


Tele2 Internet ? News:
http://www.kleine.at/nachrichten/politik/158492/print.do


Portal Kunstgeschichte:
http://www.portalkunstgeschichte.de/index_frame.php?rubrik_id=0&submenu_id=0&link=http://
www.portalkunstgeschichte.de/news_detail.php?code=5819


"dieuniversitaet-online.at" vom 13.7.2006:
Künstlerisch gestaltet, wissenschaftlich aufgearbeitet: "Siegfriedskopf" im Arkadenhof

APA0299 5 II 0402 XI vom 13.7.2006: Uni Wien:
"Siegfriedskopf" übersiedelte von Aula in Arkadenhof

APA0303 5 II 0388 XI vom 13.7.2006:
Siegfriedskopf - Gefallenendenkmal als Streitobjekt


PRINTMEDIEN:

»Profil« vom 17.7.2006, p36:
Der Siegfried-Kopf der Uni Wien ist wieder zu besichtigen

»Kurier« vom 14.7.2006:
Ein neuer Platz für ein rechtes Symbol

»Der Standard« vom 14.7.2006:
Siegfried liegt im gläsernen Sarkophag

»Salzburger Nachrichten« vom 14.07.2006:
Eine Schrift, die sich selbst verteidigt

»Wiener Zeitung« vom 14.7.2006:
Disputed Siegfriedskopf monument finds new home

»Falter« vom 21.7.2006 - Nr 29, p7:
Bild der Woche

»Die Gemeinde«
(Israelitische Kultusgemeinde), August 2006 - Nr. 589:
Siegfriedskopf übersiedelte von Aula in Arkadenhof